Wo immer in Organisationen die amtliche Falschschreibung ohne demokratische Beteiligung der Mitglieder eingeführt wurde, waren verschiedene Verhaltensweisen bzw. Reaktionen zu beobachten:
Im BUNDmagazin, dem Presseorgan des BUND, wurde folgende Korrespondenz abgedruckt. Jürgen Räuschel ist der Chefredakteur des Magazins:
Korrespondenz in Sachen Rechtschreibung | aus: BUNDmagazin 2/2000 |
Sehr geehrter Herr Räuschel, auf Seite 3 mahnen Sie den Willen des Volkes in sachen Umweltschutz an und zitieren zu diesem Zweck einige Umfragen. Sie schreiben: Das Volk ist oft viel schlauer, als so mancher Zeitgeistliche denkt. Nun, die überwältigende Mehrheit der Deutschen ist gegen die sogenannte Rechtschreibreform. Doch was Sie beim Thema Umwelt für zutreffend erachten, lassen Sie beim Thema Sprachkultur nicht gelten und mißachtenhier den Willen des schlauen Volkes: Das BUNDmagazin bemüht sich redlich, den neuen Regeln zu folgen was zum Glück nicht immer gelungen ist. Wenigstens in Ihrem Editorial schreiben Sie daß noch mit ß. ... Wußten Sie, daß Sie nicht verpflichtet sind, das neue Schwachdeutsch anzuwenden? Ich möchte Ihnen dringend ans Herz legen, zu herkömmlichen Rechtschreibung zurückzukehren und dem unrechtmäßigen, gewaltsamen Eingriff in unsere Sprache eine Absage zu erteilen. ... Werfen Sie ihren neuen Duden ins Altpapier. Dann ist er wenigstens noch zu etwas nütze. Erich-R. Schaefer, Düsseldorf |
Sehr geehrter Herr Schaefer, im deutschen Sprachraum wird heute chaotisch geschrieben: 1. herkömmlich, 2. nach den neuen Regeln eines Internationalen Arbeitskreises für Orthographie, 3. nach dem Kodex, den elf deutschsprachige Agenturen vereinbart haben, 4. auf schweizerische Art (ohne jedes ß). 5. Im Email-Auslandsverkehr gibt es weder ß noch Umlaute. Anmerkung für Schriftkundige: Wichtige Regeln der neuen Schreibung sind in Frakturschrift nicht mehr umsetzbar. Das BUNDmagazin hat irgendwann die gemäßigte Umstellung der Agenturen nachvollzogen, macht jedoch sinnentstellende (Getrennt-)Schreibung und die Entsemantisierung der Kommasetzung nicht mit. Man könnte meinen, damit vergrößern wir das Chaos nur. Mag sein. Aber irgendwann hat der Duden immer das kodifiziert, was die Leute wirklich geschrieben haben. Das wird früher oder später auch hier so kommen. Es ist nachvollziehbar, wenn jemand die Regeln des Internationalen Arbeitskreises ablehnt. Es gibt gute Gründe dafür, eine Reform abzulehnen, die zumindest teilweise keinen Sinn erkennen lässt. Denn die Art, wie wir schreiben, ist Ausdruck unserer kulturellen Identität. Es mag egal sein, ob wir daß oder dass schreiben. Es gibt aber eine innere Beziehung zwischen Umweltzerstörung und Kulturbrüchen. Wer sich intensiv um den Schutz der Natur bemüht. empfindet solche Zusammenhänge vielleicht stärker und denkt über Lebensstile und kulturelle Identitäten intensiver nach. Hier liegt wohl der tiefere Kern Ihrer Kritik. Ich habe den Eindruck, wir sollten uns dieses Themas bald intensiver annehmen. Jürgen Räuschel |
Neue Rechtschreibung | aus: BUNDmagazin 1/2001 |
Sehr geehrter Herr Schaefer, Es wäre schön, wenn auch das BUNDmagazin zur bewährten Schreibung zurückkehren würde. So, wie die Reform beschlossen wurde, wird sie nämlich ohnedies nicht bestehen bleiben. Ich empfehle allen, denen (auch vereinsinterne) Demokratie und Rechtschreibung noch etwas bedeuten, die sofortige Rückkehr zur gewohnten Orthographie. Die Reform ist heimlich, aber dennoch verbindlich bereits wieder ganz erheblich revidiert worden. Daher ist es auch nicht länger berechtigt, sich auf die armen Schüler zu berufen. Die sitzen wirklich auf einer Rechtschreibinsel, denn niemand schreibt so wie sie. Der Ab- und Rückbau schreitet immer weiter fort. |
Kommentar:
Der Redakteur des BUNDmagazins ist anders als Adalbert Niemeyer-L. für die Mängel der "Reform" durchaus sensibel, da er über sie sehr viel mehr als das Bielefelder Mitglied weiß. Aber er weiß offenbar längst nicht alles:
Der schnelle BUNDler aus Bielefeld hat vor lauter Eile, sich umzustellen, die zahlreichen veröffentlichten Umfrageergebnisse zur Rechtschreibung übersehen, die auch für den BUND zweifelsohne repräsentativ sind. Daß er selbst den Willen des Volkes nicht kennt, hindert ihn nicht daran, zufrieden zuzusehen, wie die Kultusbürokratie dem Volk ihren Willen aufzwingt.
Prof. Icklers Ausführungen sind geeignet, dem blinden Fortschrittsglauben mancher Zeit(geist)genossen ("neu = modern = besser") den Zahn zu ziehen. Schön wäre gewesen, wenn er dazu auch den Begriff des "Heyseschen" s erläutert hätte. (Die "Heysesche s-Schreibung" geht auf Johann Christian August Heyse, der 1829 starb, oder seinen Sohn Karl Wilhelm Ludwig Heyse zurück.)
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