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"Rechtschreibreform": "Stammschreibung" – Etymologie

1. Umlaut ä statt e

konventionellzwangsreformiert
behende · belemmert · Bendel · Gemse · Greuel · Quentchen · schneuzen · Stengel · überschwenglich · verbleuen · aufwendig · Schenke behände · belämmert · Bändel · Gämse · Gräuel · Quäntchen · schnäuzen · Stängel · überschwänglich · verbläuen · aufwendig oder aufwändig · Schänke
konventionell differenziertzwangsreformiert jetzt nur noch
gräulich und greulich gräulich (siehe auch die Rätselecke)

Stammschreibung soll bedeuten, daß ein Wort von einem anderen, zugrunde liegenden Wort abgeleitet wird und deshalb so wie dieses zu schreiben ist. Das wird als Erleichterung ausgegeben, aber gleich wieder mit bewußt falschen (weil nicht etymologischen) Schreibungen bzw. Volksetymologien konterkariert:

  Das "New Kreüterbuch" von Leonhart Fuchs, 1501-1566
  Anno 1543: Das
New Kreüterbuch

Was soll eigentlich schwierig oder falsch daran sein, den e-Laut etwa in Quentchen und Stengel so zu schreiben, wie er ausgesprochen wird? Das unsinnige Konstrukt der erzwungenen (hier natürlich falschen) Stammschreibung beruht vielfach auf der Besserwisserei von Gelehrten, die die vermeintliche Herkunft eines Wortes in diesem abbilden wollten, nämlich hier durch ein ä. Die tatsächlich gegebene Unsicherheit in der deutschen Sprach- bzw. Schreibgemeinschaft, ob ein Laut mit e oder ä verschriftlicht wird, wurde zwar durch das "Stammprinzip" verursacht, soll aber nun dazu genutzt werden, dieses Prinzip auf Kosten des "Lautprinzips" durchzusetzen und Volksetymologien zu fördern (Schenke wie ausschenken oder Schänke wie Ausschank?), zu denen wiederum nur Erwachsene fähig sind: Sechsjährige Kinder sind mit Gedanken darüber, woher ein Wort sprachgeschichtlich wohl kommen mag, völlig überfordert. Die abgebildete deutsche Briefmarke von 2001 zeigt, wie wenig auch schon vor Hunderten von Jahren das Stammprinzip für gebildete Menschen zählte.

Streng genommen ist der Begriff Volksetymologie für die erwähnten bewußt falschen Ableitungen sogar falsch, da hier nicht das Volk laienhaft "etymologisiert", sondern eine Regierung diesem Volk falsche Ableitungen aufnötigt und so die Unwissenheit, die jeder echten Volksetymologie zugrunde liegt, staatlich verordnet. Es handelt sich hier also um indoktrinierte Staatsetymologie – ein Vorgang, der möglicherweise einmalig ist und etwas an den (Schul-)bekannten Orwellschen Roman 1984 ("Newspeak") erinnert. (Man stelle sich vor, als nächstes würden die Biologielehrer ihren Schülern weismachen, ein "Walfisch" sei ein 'Fisch', weil diese volkstümliche Bezeichnung für einen der großen Meeressäuger den Fisch im Namen trage und wie ein solcher im Wasser schwimme ...)

Außerdem gibt es keine logische Erklärung dafür, warum das Prinzip der "Stammschreibung" nur bei einigen Begriffen durchgeführt werden sollte, nicht aber bei allen, die sich "etymologisch" von einem Begriff desselben Wortstammes ableiten lassen. Folgende Schreibweisen wären beispielsweise denkbar; die Frage, ob sich z. B. ein bestimmtes Verb von einem bestimmten Substantiv ableitet oder umgekehrt (die Ableitungsrichtung also), spielt für den Laien keine Rolle, dürfte also für die "Reformer" ebenso unerheblich gewesen sein:

Die Umlautschreibung ist offenbar willkürlich und auf zehn Wörter beschränkt: aufwändig / aufwendig, Bändel, behände, belämmert, Gämse, Quäntchen, Schänke / Schenke, Ständelwurz / Stendelwurz, Stängel, überschwänglich. Als der bekannte Erlanger Germanist und Kritiker der "Rechtschreibreform" Professor Theodor Ickler die Dudenredaktion fragte, warum denn der Spengler ('Klempner, Blechschmied') gemäß §15 der amtlichen Regeln nicht Spängler (abgeleitet von der Spange) zu schreiben sei, teilte diese ihm am 02.07.1997 mit:

Bekanntlich verfolgten die Rechtschreibreformer das Ziel, das korrekte Schreiben zu erleichtern, ohne radikale Eingriffe in vertraute Wortbilder vorzunehmen.
§ 13 des amtlichen Regelwerks ist deshalb nach unserer Auffassung so zu verstehen, dass die Umlautschreibung entsprechend dem Stammprinzip nur auf diejenigen ausgewählten Einzelwörter anzuwenden ist, die explizit in der amtlichen Wörterliste verzeichnet sind.
Das Lemma Spengler ist demnach von der Neuregelung nicht betroffen.

Eine Regel, die nicht generell gilt, sondern auf wenige in der amtlichen Wörterliste verzeichnete Wörter in Umlautschreibung beschränkt ist, ist natürlich nur eine Scheinregel: Tatsächlich wurden unter einem pseudowissenschaftlichen Vorwand nur die Schreibweisen einzelner Wörter festgelegt.

Typisch an der auch in der Presse vielzitierten Stammschreibung und kaum diskutiert worden ist, daß es sich gerade beim Buchstaben ä eigentlich um gar keine "Stammschreibung" handelt! Echte Stammschreibung läge dann vor, wenn etwa der 'Stengel' jetzt "Stangel" geschrieben werden sollte. Da die Schreibung eines Lautes wie eines Wortes ganz willkürlich ist (Orthographie "Linguistik"), ist es nur Sache einer Konvention, mit welchem Zeichen ein Laut schriftlich darzustellen ist. So kommen neben ä weitere Buchstaben aus europäischen Sprachen in Frage, die im Deutschen (!) alle das gesprochene [e] darstellen könn(t)en:

ä · æ · ae · ai · e · a

Das a (wie in englisch "matter" oder "ladder") kollidiert natürlich im Deutschen mit dem gesprochenen [a], die ersten fünf Buchstaben bzw. Zeichen aber wären Kandidaten für das gesprochene [e]. Eine wirkliche Vereinfachung läge jedoch nur dann vor, wenn einheitlich der Laut [e] als "e", der Laut [ai] als "ai" etc. geschrieben würde. Ob das allerdings akzeptiert würde? Wohl kaum.


2. Vollständige Wortbestandteile (siehe auch Doppel-s)

konventionellzwangsreformiert
Roheit · Zäheit · Zierat · Flanellappen · Flußsand · Mißstand · Schiffahrt · Schlammassen · Stoffülle · selbständig Rohheit · Zähheit · Zierrat · Flanelllappen · Flusssand · Missstand · Schifffahrt · Schlammmassen · Stofffülle · selbständig oder selbstständig
konventionellAusnahmen
dennoch · Drittel · Mittag dennoch (von denn noch) · Drittel · Mittag

Die vollständige Erhaltung der Bestandteile eines zusammengesetzten Wortes (Kompositums) scheint hinsichtlich der so geförderten Transparenz durchaus nützlich zu sein — aber:


3. Verdoppelung von Konsonanten (siehe Doppel-s)

konventionellzwangsreformiert
Karamel ·
numerieren
Karamell (zu Karamelle) ·
nummerieren (zu Nummer)

"Dumm" beim Nummerieren ist nur, daß sich dieses Wort vom lateinischen numerus ableitet und daß Numero eins und die Numerik weiter mit nur einem m geschrieben werden sollen.


4. Scheinetymologie: Analogie

konventionellzwangsreformiertweiterhin
plazieren · Stukkateur ·
Tolpatsch ·
Differential · essentiell ·
potentiell · substantiell
platzieren · Stuckateur ·
Tollpatsch ·
Differenzial · essenziell ·
potenziell · substanziell


Differential · essentiell · potentiell · substantiell

5. Reine Analogien (keine Etymologie)

konventionellzwangsreformiert
Känguruh · rauh (Rauhhaardackel) Känguru · rau (Rauhaardackel)

Wer sich mit Scheinetymologien bei Teil-Analphabeten einzuschmeicheln sucht (siehe 3 und 4), der schreckt auch vor reinen Analogien nicht zurück.
    Wer also in Zukunft das australische Beuteltier schreibt, soll an das (bekannte?) afrikanische Gnu und den fernostasiatisch-australischen Kakadu denken, damit er nicht vergißt, das h zu vergessen; und dieser Buchstabe soll analog zu blau und schlau künftig am Ende auch von rauh entfallen – obwohl wir gerade erst gelernt haben, daß er sich nicht nur zäh behaupten, sondern in Zähheit sogar verdoppeln soll. Also roh mit h, aber rau ohne? Daß Logik keine sprachwissenschaftliche Kategorie ist, das haben die Reformer hier eindrucksvoll unter Beweis gestellt!


6. Empfehlung

Der Staat oder von ihm beauftragte "Experten" sollten die Finger von Etymologien lassen! Wenn eine (volks)etymologische Schreibweise nennenswerte (was zu definieren wäre) Verbreitung gefunden hat, sollte man sie unaufgeregt als umgangsschriftliche Nebenvariante in die Rechtschreibwörterbücher aufnehmen.

Hinweis: Wie einleitend erwähnt, werden hier die Regeln aus den Anfangsjahren, nicht möglicher späterer Revisionen der "Rechtschreibreform" besprochen.


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