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Rechtschreibreform: Aktuell
Extraseite: Auszug aus einem Interwiew mit dem Verleger Michael Klett

Stefan Stirnemann, Lehrer am Gymnasium Friedberg in Gossau (SG) und Mitglied der Forschungsgruppe Deutsche Sprache (FDS), führt in der Juni/Juli-Nummer der Schweizer Monatshefte ein Gespräch mit Michael Klett, dem Verleger des Schulbuchverlags Ernst Klett und von Klett-Cotta.

SCHWEIZER MONATSHEFTE, Nr.06/07, 2005

Ich frage so unvermutet, wie die Sache über uns gekommen ist: Was halten Sie von der Reform der Rechtschreibung?
    Überhaupt absolut gar nichts.

Waren Sie von Anfang an dagegen?
    Natürlich! Aber ich muß sagen, daß ich mich nicht gleich mit der nötigen Verve gegen den Unfug gestemmt habe. Politiker lassen ja dauernd Ballons steigen, kündigen irgend etwas an oder arbeiten sogar fundiert an allerlei Reformkonzepten, und bald darauf ist alles wieder weg, zerredet, vergessen... Bei solchem Unsinn, dachte ich, würde das ebenso sein. Daß der wachsende Unmut der Bevölkerung über die Reformunfähigkeit der von ihnen gewählten Politiker ausgerechnet mit dem Reformalibi der Rechtschreibung besänftigt werden sollte, wie sich später vermuten ließ, hielt ich für völlig ausgeschlossen.

Was hat Sie 1996 die Umstellung auf die neue Rechtschreibung gekostet?
    Der Preis für meine frühe Indolenz war hoch. Auf zwei Jahre verteilt, sind es 17 Millionen DM gewesen für den Schulbuchverlag, weil alle Schulbuchverlage sich ein Konkurrenzgefecht mit der raschen Umstellung ihrer Bücher lieferten, obwohl der Schule und den Verlagen eine lange Umstellungszeit eingeräumt worden war. Den Verlag Klett-Cotta hat es nichts gekostet. Dort wird in der Regel in der herkömmlichen Rechtschreibung publiziert.

Gibt es Zahlen für alle Verlage Deutschlands und der Schweiz?
    Mir ist keine verläßliche Gesamtzahl bekannt. Eine Weile lang schwirrten abenteuerliche Schätzungen von aufgrund der Reform möglichen oder eingetroffenen Verlusten herum. Viele kochten da ihr Propagandasüppchen. Ich meine, daß es ungefähr jeden Schulbuchverlag so gebeutelt hat wie den unseren.

Der neue Rat für deutsche Rechtschreibung empfiehlt, die reformierte Getrennt- und Zusammenschreibung weitgehend aufzugeben. Es wird befürchtet, daß ein weitergehendes Aufgeben der Neuregelung die Planungssicherheit der Schulverlage gefährde und hohe Kosten verursache. Wie sehen Sie das?
    Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Auf keinen Fall wird die Planungssicherheit gefährdet, denn es ist anzunehmen, daß die Revision der Reform, wie immer sie am Ende aussehen wird, im Laufe dieses Herbstes vollends verbindlich gemacht werden wird. Zusammen mit der bereits verbindlich erklärten Revision kann für die Schulbücher des kommenden Jahres von Planung ohnehin keine Rede mehr sein. Damit wird bei dieser Terminlinie wohl auch niemand gerechnet haben. Für das Schuljahr 2006/7 wird aber hoffentlich genug Zeit sein, um sich darauf einzurichten. Was die Kosten angeht, so sieht es freilich anders aus. Da werden wir wohl Haare lassen müssen. Zur Dämpfung dieses Problems hatte ich schon einmal vorgeschlagen, daß die großen Verlage ein Kartell für den Übergang vereinbaren und sich dieses genehmigen lassen sollten, also etwa: daß für das erste Schuljahr nach der Revision lediglich die Deutschbücher in den ersten beiden Klassen der Grundschule und der Sekundarstufe revidiert gedruckt werden und ein Jahr darauf die Folgeklassen und so weiter. Die Kultusminister müßten diese Unsicherheit eben eine Weile dulden. Dafür wäre der kulturelle Frieden unter den deutschsprechenden Völkern wiederhergestellt, und die Zeit könnte dann heilen, was nun eben einmal passiert ist.

Was aber, wenn diese Zeitrechnung nicht aufgeht? Es scheint doch, als verlangten die zuständigen Politiker, daß Schüler und Lehrer am ersten August ein Haus beziehen, in dem auf Dauer geflickt und geklopft werden soll. Wie stellen Sie sich zu einem vollständigen Aufgeben der neuen Regeln? Wie hoch wären die Kosten?
    Ich kann Ihnen dazu keine Zahl nennen, weil ich nicht glaube, daß auch bei einem vollständigen Aufgeben der neuen Regeln dieselbe blinde Hast losgehen würde wie bei deren Einführung 1997 und 1998. Ein rasches und vollständiges Aufgeben wäre natürlich der Königsweg, und die finanziellen Opfer, die er verlangt, müßten wir in Gottes Namen auf uns nehmen. Mir wäre das jedenfalls lieber als ein sich lang hinziehendes Chaos mit immer neuen Verbesserungen.

Der Dichter Reiner Kunze schrieb: «Das, was geschehen müßte und geschehen könnte, wenn genügend Vernunft zu genügend Macht gelangte, wäre, die Reformschreibung als <vorübergehend gleichberechtigt anzuerkennen>, damit keinem, der sie gelehrt bekommen hat und nicht zur bewährten Rechtschreibung zurückkehren möchte, ein gesellschaftlicher Nachteil entsteht, ab der ersten Klasse des neuen Schuljahres aber wieder die Rechtschreibung zu unterrichten, die bis 1998 galt, und diese von neuem als offiziell zu deklarieren. Das Eingeständnis, einen Irrweg gegangen zu sein, würde die Glaubwürdigkeit der Kultusministerkonferenz wiederherstellen.» Was meinen Sie dazu?
    Ich teile diese Meinung Reiner Kunzes uneingeschränkt. Das «vorübergehend gleichberechtigt» ist genau diese Art von Übergangsgestaltung, die wir brauchen, um die Sache in Ordnung zu bringen.



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